Der jüngste Plattenboss Europas

„Siggi“ Loch wird 70 

Was haben Jürgen Drews, Katja Ebstein, Al Jarreau, Marius Müller-Westernhagen, Heinz Rudolf Kunze, Led Zeppelin, Klaus Doldinger, Peter Schilling, Yes, Nils Landgren und Esbjörn Svensson gemeinsam? Einen Teil ihrer Karriere, mit dem deutschen Plattenboss Siegfried, „Siggi“ Loch, der heute im Münchner Dreimühlenvierel die Plattenfirma ACT, ein weltweit bekanntes Jazzlabel leitet.

Er wird am 6. August 1940 als Sohn eines Gutsverwalters in Pommern geboren. 1951 flieht der Vater aus der DDR in die Bundesrepublik nach Delmenhorst; Flüchtlings-Kindheit. Mit 15 bringt ihn ein Konzert des Jazz-Saxophonisten Sidney Bachet, ohne Eintrittskarte in der Niedersachsenhalle von Hannover, zu einer Musik, die so ganz anders klingt, als die muffigen Schlager, die er seinem Vater manchmal auf dem verhassten Akkordeon vorspielen muss. Kaufmännische Lehre, Drücker für Versicherungen. Freizeit in einem Schallplattenladen im Bahnhofsviertel von Hannover, Platten verscherbeln für eine Plattenfirma.

Produktion seiner ersten Platte mit dem noch unbekannten Jazz-Saxophonisten Klaus Doldinger. Plattenaufnahmen mit den Beatles machen ihn zum Deutschlandgeschäftsführer der neu gegründeten Liberty/Universal Artists Records, zum jüngsten Plattenboss Europas; Europachef bei WEA.

Eine Einladung des Sängers Al Jarreau ins Hamburger Onkel Pö startet dessen Weltkarriere. Der Kauf der Rechte am holländischen Hit „Paloma Blanca“ zahlt sich mit mehr als 20 Millionen verkauften Kopien aus.

Mit den Augen, auch mit den Ohren, darf man ruhig klauen, hatte Lochs Vater gesagt. Nur mit den Händen nicht. Den Country-Song „Let Your Love Flow“ von den Bellamy Brothers lässt er für Jürgen Drews zu dessen Hit “Ein Bett Im Kornfeld” werden.

Der Versuch, aus einem Fernsehsketch mit dem jungen Schauspieler Marius Müller-Westernhagen eine Single „Gebt Bayern Zurück An Die Bayern“ zu machen, löste 1972 einen Sturm der Entrüstung aus. Die Platte musste eingestampft werden und ist heute eine Art Blaue Mauritius unter den Schallplatten – „nicht mal Marius besitzt noch eine“. Drei Platten später, mit „Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz“, stellt sich der Erfolg ein.

Den noch als Lehrer arbeitenden Heinz Rudolf Kunze schickte er vom Amateur-Festival direkt ins Tonstudio; Katja Ebstein kommt mit ihm beim Eurovision Song Contest erstmals für Deutschland unter die ersten drei.

Anfang der 90er Jahre zieht er sich vom großen Geschäft zurück und gründet sein eigenes kleines Jazz-Label ACT. Er fördert Typen wie Nils Landgren, Esbjörn Svensson und Roger Cicero, den er aber wieder gehen lässt, weil ihm „dessen deutsche Swinggeschichten“ nicht gefallen.

„Will man eine Plattenfirma führen, so müssen 20 Prozent der Platten finanziell erfolgreich sein und 30 Prozent müssen sich zumindest selber tragen. Wenn das so ist, dann kann man die restlichen 50 Prozent mit durchziehen“. Zu den 20 Prozent Erfolgreichen gehörten in jedem Fall der Posaunist Nils Landgren, den Loch nach dem Festival „Jazz Baltica“ 1994 zu Plattenaufnahmen nach Hamburg einlud. Der Schwede bringt einen jungen, unbekannten Pianisten mit: Esbjörn Svensson. Auch den nimmt er unter Vertrag. Svensson erfindet das Jazz-Trio neu, macht weltweite Karriere, ein Konzert jagt das nächste. In einer Auszeit verunglückt er beim Tauchen am 14. Juni 2008.

Loch, der seit 46 Jahren mit seiner Jugendliebe Sissy verheiratet ist, wurde gerade in Schweden wegen seiner Verdienste zum Ritter geschlagen. Am ersten Freitag im August wird er 70 Jahre alt.


Dies sind Auszüge aus dem Artikel: 

Der Boss
Siggi Loch hat Marius Müller-Westernhagen entdeckt, Jürgen Drews und das Jazzwunder Exbjörn Svensson – ein Besuch bei einer deutschen Legende
Von Martin Zips
Süddeutsche Zeitung, 10./11. Juli 2010


nach oben