Neil Young in der Waldbühne

Geschichtsstunde der Rockmusik


von WILLI WINKLER

26 Jahre war Neil Young, als er mit dem Altwerden kokettierte und mit seinem „Heart Of Gold“ das einzige Mal eine Nummer eins hatte. Immerhin war er der Veteran, der Woodstock mitgemacht und boykottiert, der die ersten Drogenexzesse hinter sich hatte und der sein ganzes Leben mit Epilepsie würde verbringen müssen. Inzwischen ist er mit 67 erstaunlich gut beieinander.

An die zwanzigtausend seiner Alterskohorte haben sich in der Berliner Waldbühne eingefunden. Auf die Idee, das Stadion wie vor einem Menschenalter bei den Stones zu demolieren, käme diesmal niemand. Die Eintrittspreise werden inzwischen klaglos hingenommen, und, um es zurückhaltend zu formulieren, schließlich war es ja auch das beste Konzert des ganzen Sommers (?).

Mit der Vorgruppe Los Lobos hörte der gnadenlose Regen auf. Dafür öffnete sich der Zauberbereich der Musik. Mit „Love And Only Love“ kommt Neil Young auf die Bühne, begleitet von Billy Talbot, Ralph Molina und Frank Sampredo, den Crazy Horse, mit denen er seine letzte Platte „Psychedelic Pill“ aufgenommen hat.

Ohne Aufwärmen die volle Dröhnung auf Bass gestimmten Gitarren.

Neil Young, der autonärrische Öko- und Anti-Bush-Aktivist befreite sich mit der Band Crazy Horse von der zuckersüßen Umarmung mit Crosby, Stills & Nash, und wurde damit Pate der schon wieder (Gott-sei-Dank) vergessenen Grunger. Mit seinen Gitarrengewittern sticht er noch jeden Neo-Punk aus. Im endlos ausgespielten „Walk Like A Giant“ beklagt er seine Generation, die einmal die Welt verbessern wollte „aber dann schlug das Wetter um“.

Nach „Hole In The Sky“ und einer Pause dann Neil Young solo. Dann wieder mit Band, im wilden Ritt zurück in die Siebziger mit Schweinerock, Leib und Seele erschütternden Soli und wildem Verzerrer Spuk. Seine vollständige Hingabe an das Instrument hat etwas Jungenhaftes, eine teuflische Spielfreude am schieren Krach.

In der Nachfolge der Herren Townshend und Hendrix gelingen Neil Young Overdrive-Sensationen von viel zu tief fliegenden Flugzeugen. Kein Höhepunkt, simple Riffs, schönster Krach, besonders beim Lautgedicht „Mr. Soul“ aus den Urzeiten mit Buffalo Springfield. Stahlgewitter aus der Gitarre durch den Verstärker gejagt und endlos wiederholt. Reinste Freude.

Wg. möglichen Regens in neuestem Funktionskleidungs-Chic bringen Viertel nach neun ein paar lachsrote Schleierwolken von Westen die angemessene Dunkelheit, um das Konzert mit „Hey, Hey, My, My (Into The Black)“ zu beenden. Besser verbrennen als dahinsiechen. Altwerden ist doch okay, auf der Waldbühne, solang jemand wie Neil Young für den schönsten Lärm sorgt.


Neil Young and Crazy Horse

11. Juni Luxemburg
12. Juli Köln
22. Juli Stuttgart
14. August Dresden


aus:
Unzucht mit abhängigen Lautsprechern
Auf der Berliner Waldbühne liefert Neil Young das beste Konzert des ganzen Sommers

von WILLI WINKLER
Süddeutsche Zeitung, 4. Juni 2013