Klaus Dinger


- Nachruf von Ralf Gawlista

- Ein Punk von Morgen,
von Tobias Rüther, FAS, 6. April 2008

- siehe auch: Michael Sailers Erlebnis mit Klaus Dinger - R'n'Rer-leben 


Nachruf für Klaus Dinger

von Ralf Gawlista

Klaus Dinger entschloss sich 1969, sein Architektur-Studium in Krefeld abzubrechen, um sich fortan voll und ganz der Musik zu widmen. Ihn begeisterte die unendliche Fülle von Emotionen, die Musik beinhalten und ausdrücken kann, und er war überzeugt, dass der Schritt zum Musiker-Dasein sich nicht mit einem "normalen" Berufsalltag vereinbaren lässt. Diese Kompromisslosigkeit bis hin zur totalen Selbstaufopferung wird sein Schaffen bis zum Schluss charakterisieren.

Selbst solche Aspekte in seinen Werken, die auf ersten Blick "trashig" erscheinen mögen, wurden von ihm genauestens durchdacht und mit kompromisslosem Perfektionismus umgesetzt. In dieser Hinsicht zeigte er sich beeinflusst von Künstlern wie z.B. Joseph Beuys. Andererseits nannte er mir gegenüber einmal die Single "Strawberry Fields" von den Beatles als Beispiel für eine nahezu perfekte Single, und in der Tat vergaß Klaus bei allem, was er schuf, niemals den Hörer bzw. die Wirkung seiner Musik auf ihn. Er wollte keine blutleere, abstrakte Kunst, er wollte wahrgenommen und verstanden werden, ohne sich anbiedern zu müssen.

So ist es auch bezeichnend, dass er während all seines Schaffens es vehement ablehnte, auch nur ein Musikstück für Werbe-Zwecke zur Verfügung zu stellen. So dürfte es auch kaum überraschen, dass die Musikindustrie es nicht immer leicht mit ihm hatte. Ihm war bewusst, dass er allseits als "schwieriger Vertragspartner" galt, war aber geradezu stolz darauf, keinerlei künstlerische Kompromisse um des bloßen Geldes willen zu machen. Die Selbstbezeichnung "Total Artist" auf seinem langjährig verwendeten Namensstempel war in diesem Sinne absolut richtig und zutreffend, denn genau das war er, alle Zeit: Ein Mensch, der voll und ganz für seine Kunst lebte.

Sein Tod hinterlässt bei mir Bestürzung und tiefe Trauer, aber auch das Bewusstsein, dass er der Musikwelt viel gegeben hat. Ohne die bahnbrechenden Alben, an denen er als hauptsächlicher kreativer Kopf mitwirkte und von denen vor allem die in den 70er Jahren erschienenen drei NEU!-Alben und die La-Düsseldorf-Alben allesamt ohne Übertreibung zu den Meilensteinen der Rockmusik gezählt werden müssen, wäre die Musikgeschichte anders, ärmer, uninteressanter verlaufen. Stücke wie "After Eight" und "Hero" nahmen in gewisser Weise den Punk vorweg, La Düsseldorf beeinflussten etliche Bands der späteren Wave- und NDW-Bewegung.

Vermutlich nur wenigen ist bekannt, dass er einen Großteil seines Schaffens einer bestimmten Frau gewidmet hatte, der großen Liebe seines Lebens, auf die etliche seiner Musiktitel ("Lieber Honig", "Rheinita", "Hero", "Mon Amour", "Ich liebe dich") anspielen. Obwohl sie sich schon nach kurzer Zeit, Anfang der 70er Jahre, trennten, behielt er sie all die Jahre als seine Muse und hoffte insgeheim, sie vielleicht sogar eines Tages wiederzusehen. Niemand weiß, ob sich diese Hoffnung vielleicht irgendwann erfüllt, in einer anderen Welt, in der sich seine Seele nun befinden mag. Aber wir, hier in dieser Welt, werden ihn in unserer Erinnerung, in unserem Herzen bewahren.

Ralf Gawlista, 03.04.2008

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Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6.4.2008

Ein Punk von morgen –
Zum Tod von Klaus Dinger

von Tobias Rüther 

„Isi“ klingt wie Schwabing am Nachmittag, 1975. Schwer zu sagen, woran das liegt. Das lichte Klavier, dieser sorglose Augenblick einer freien Musik ohne Gesang erinnert aber jedes Mal an den Englischen Garten. Vielleicht, weil die deutsche Popmusik der siebziger Jahre von Anfang an in den Freitagskrimis zu Hause war, und die spielten eben in München. Vielleicht aber auch, weil Nachmittags-im- Park- Musik wie „Ise“ von Neu!, der Band, die den Schlagzeuger, Gitarristen und Sänger Klaus Dinger berühmt gemacht hat, wie Zeitmaschinen funktioniert.

Neu! war immer ein Zeitphänomen, das war schon im Bandnamen eingeschrieben, ihre Musik war der Gegenwart voraus: Neu mit Ausrufungszeichen eben. Klaus Dinger, der am 21. März, drei Tage vor seinem zweiundsechzigsten Geburtstag, gestorben ist, hatte das Duo 1971 mit dem Gitarristen Michael Rother gegründet. Beide hatten kurz bei Kraftwerk gespielt, und das wird Dinger jetzt in den Nachrufen als Etikett angeheftet: Dinger, der Schlagzeuger von Kraftwerk. Dabei war das nur eine Episode, so wie das Schlagzeug bei den Elektronikern von Kraftwerk nur eine Episode war. Richtig revolutionär, für den einen wie für die anderen, wurde es erst danach.

Denn wie Klaus Dinger in seiner eigenen Band hypnotisch schlicht nach vorn trommelte, wie Michael Rother endlose Gitarrenschleifen aneinander knüpfte, das hatte nichts mit angloamerikanischen Rock-Konventionen zu tun, eher schon mit Fernost, jedenfalls war es erstklassige Drogenmusik: Hypnotisch, bildreich, unendlich. Rother hat kürzlich noch einmal erzählt, wie er mit Klaus Dinger darüber diskutiert habe, Harmoniewechsel ganz wegfallen zu lassen: „Eine Tonart, ein Ton – wie Einatmen und Ausatmen“.

Dinger und Rother haben sich dann leider zerstritten und Neu! 1974 aufgelöst, bis heute gibt es einen Rechtsstreit um ihr viertes Album, die ersten drei hat Herbert Grönemeyer vor einigen Jahren wiederveröffentlicht. Irgendwann hatte sogar David Bowie mit Dinger am Schlagzeug in Berlin krautrockige Musik aufnehmen wollen, das zerschlug sich aber, dafür gründete der ehemalige Düsseldorfer Architekturstudent Dinger mit seinem Bruder Thomas 1975 eine zweite Band: La Düsseldorf.

Sie verkauften Millionen Platten mit Liedern, die im Radio liefen, „Rheinita“ zum Beispiel, und weicher waren als die von Neu!, wo bei „Hero“ oder „Negativland“ Anfang der Siebziger schon der Punk von morgen aufgeleuchtet hatte.

Das ist inzwischen mehr als dreißig Jahre her. In Deutschland ist Klaus Dinger in Vergessenheit geraten, auch wenn er weiter Platten aufgenommen hat, sie waren vor allem in Japan erfolgreich.

Man muss aber nur seine genial einfachen Melodien am Klavier nachspielen, um zu spüren, was für ein Verlust sein Tod bedeutet: Ein paar Takte „Isi“, dann öffnet sich ein Fenster, nach Schwabing, ins Jahr 1975, in die Gegenwart oder einen Schritt darüber hinaus.

TOBIAS RÜTHER

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zu: Klaus Dinger ist tot

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