Franz Josef Degenhardt

- Nachruf von Hilmar Klute

- Portrait auf YouTube


Zum Tod von Franz Josef Degenhardt

Ein politisch ramponierter Poet und doch ein echter Dichter

von Hilmar Klute
leicht bearbeitet von Karlheinz

Wenn seine Anhänger auf Konzerten kegelclubhaft blökend die „Schmuddelkinder“ forderten, dann sang der Dichter und Bänkelsänger Franz Josef Degenhardt lieber seine Lieder aus der späten Bundesrepublik, die für ihn die Endmoräne der miefigen Adenauerzeit war, vollgestellt mit Besitzstands-Wahrern und Kartell-Ganoven.

Mit seiner beunruhigend hellen, später aufgerauten Stimme konnte dieser dem Publikum gegenüber sonderbar distanzierte Sänger seine Zuhörer sichtlich zusammenzucken lassen.

Das Miefige der Kleinstädte, das große Schweigen über die Massenmorde der Nationalsozialisten und ein von Pfaffen, Philistern und frisch zu Demokraten gewendeten Mitläufern verseuchtes Nachkriegs-Deutschland – das war, worüber Degenhardt schrieb und sang.

Am 3. Dezember 1931 in der westfälischen Kleinstadt Schwelm in eine katholisch-antifaschistische Familie hineingeboren, gehörte er als Jugendlicher zu einer Gruppe junger Wehrkraft-Zersetzer, die mit Eigen-Urin Sprengkörper löschten.

1973 veröffentlichte er seinen bekanntesten, bald darauf verfilmten Roman „Zündschnüre“. Weiteres, „Die Misshandlung“ und eine großer Roman über Hoffmann von Fallersleben war weniger erfolgreich.

Als Degenhardt Anfang der sechziger Jahre mit seinen „Bänkelsongs“ auftrat, war er bereits examinierter Jurist und wissenschaftlicher Assistent am Institut für Europäisches Recht der Universität Saarbrücken.

Seine ungeheure Belesenheit und große Kenntnis der deutschen Literatur bildeten mit seiner Freude an der Zitat-Montage den Humus seiner heute immer noch aufregend schönen und beunruhigend bösen Fabeln, in denen der Schäfer August vor den Wölfen warnt, die wieder das Fraßlied der Faschisten singen, oder zur „Hochzeit“ kurz vor dem Atomschlag eingeladen wird: „Merk dir ganz genau, wo der Polarstern steht, / eh der große Bär ihn frisst.“

Dann, 1965 – die große Politisierung der Linken lag noch drei Jahre in der Zukunft – saß er in einem Zelt beim Lieder-Festival auf der Burg Waldeck. Ein in seiner äußeren Erscheinung gutbürgerlicher Mann mit rundem Schinkenspeck-Gesicht und Pullunder sang ein Lied, das ihn einerseits unsterblich machen, das aber auch an ihm haften sollte wie Kaugummi: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“.

In der, mit petziger Kindermusik unterlegte Ballade möchte ein Junge lieber mit den Randständigen spielen als mit seinen Brüdern, die in der Oberstadt zur Schule gehen, und wird dafür vom Vater regelmäßig verrprügelt. Die Randständigen aber lachen den Bürgersohn ihrerseits aus und wollen nichts mit ihm zu tun haben. Die Geschichte geht böse für den Knaben aus.

Während das Lied die heimliche Hymne der „Achtundsechziger“ wurde, nutzte Degenhardt die APO (Außer Parlamentarische Opposition) als Sprungbrett zum Protestsong und überflog gleich mehrere Radikalisierungs-Stufen.

Als die SPD, der er seit 1961 angehörte, die Unvereinbarkeit von Sozialdemokratie und Kommunismus beschloss, flog Degenhardt aus der Partei und machte fortan Wahlkampf für die DKP. Als Anwalt verteidigte er geschasste Linke und „Sozen“ und verwandelte die Gerichtsverhandlungen in Happenings mit Maultrommel und Rezitationen.

Eine seiner Liedzeilen aus dieser Zeit sollte ähnlich sprichwörtlich werden wie der Schmuddelkinder-Imperativ: „Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf.“

Von nun an begann Degenhardt, schrecklich zu poltern. Seine Lieder wurden agitatorisch und leider auch patriotisch kitschig. Die Politik hat seine Poesie etwas ramponiert, was er aber zum Glück rechtzeitig merkte.

Degenhardt wusste, dass er mehr war als der rote Hahn auf dem Dach der DKP, der auf den richtigen Zeitpunkt für die Revolution wartet wie der Bauernführer Joß Fritz aus seinem literarisch wohl bedeutsamsten Gedicht.

Er war Chronist der Zeitläufe, seine Balladen aus dem Inneren des Landes waren fabelhafte satirische Panoramen und Porträts von Opportunisten („Wildledermantelmann“), schwer erziehbaren Oberklasse-Kindern („Ballade vom verlorenen Sohn“) und bekloppt gewordenen alten Kommunisten („Onkel Richard“).

Aber Degenhardt war auch ein zarter Liebes-Lyriker, der sich seine Genauigkeit, Ironie und den Mut zur Resignation von Georges Brassens geholt hat, dem großen südfranzösischen Chansonnier, der seine Kumpanen und Katzen liebte und in Angstschweiß ausbrach, wenn er zu seiner Gitarre vor Publikum sang.

In den achtziger Jahren fing Degenhardt an, Brassens ins Deutsche zu bringen, und er machte es um Längen besser als Wolf Biermann in dessen jüngsten Gedichtband „Fliegen mit fremdem Federn“.

Anders als Biermann feuerte Degenhardt seine Poesie nicht aus der Metaphern-Kalaschnikow ab, sondern destillierte sie aus der Lebens-Klugheit und Sprach-Skepsis des Dichters: „Mal ist man eins, ineinander versenkt, / doch an die Decke starrt jeder für sich. / Und dann gefragt, woran man denkt, / lügt man und sagt: Ich denk an dich.“

Er war ein Künstler, der mit jeder Platte irgendwie neu war und trotzdem der gute alte Degenhardt, das Väterchen Franz. Und seine Radikalität, so betoniert und schwer begreiflich sie war – in der allgemeinen Common-Sense-Sauce unserer Tage möchte man sie wieder feiern.

Am Montag ist Franz Josef Degenhardt wenige Wochen vor seinem 80. In Quickborn gestorben.


Wer den unveränderten Artikel lesen möchte, gehe zu:

Die Zärtlichkeit der Zündschnüre
Er war ein politisch ramponierter Poet und doch ein echter Dichter: Zum Tod von Franz Josef Degenhardt

Von Hilmar Klute
Süddeutsche Zeitung, 16. November 2011




nach oben


zurück zu: In memoriam chronologisch

zurück zu: In memoriam alphabetisch