Chuck Berry

Dichter, Liedschreiber,
Meister des Entengangs

"If you tried to give Rock and Roll
another name, you might call it
Chuck Berry" (John Lennon)

* 18. Oktober 1926 in St. Louis, Missuri;
† 18. März 2017 in Saint Charles, Missuri, USA

Einem der einflussreichsten Musiker aller Zeiten war also ein über 90jähriges Leben vergönnt. Auch gegen Ende noch immer körperlich fit und geistig hell wach. Was konnten sich dieser tolle Künstler und die Menschheit mehr wünschen? (K)


Internetseite von Chuck Berry

Chuck Berry auf Wikipedia


CHUCK BERRY & ROCKING HORSE
29. 3. 1972, BBC Theatre

R'n'R Johnny B. Goode

Judas Priest: Johnny B. Goode

R'n'R Carol

The Rolling Stones: Carol

R'n'R C'est La Vie / You Never Can Tell / Teenage Wedding

Status Quo: Teenage Wedding

R'n'R Sweet Little Sixteen

John Lennon: Sweet Little Sixteen

R'n'R Memphis Tennessee

George Thorogood Memphis Tennessee

R'n'R Maybellene

Jerry Lee Lewis: Maybellene

R'n'R Rock And Roll Music

The Beach Boys: Rock And Roll Music

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Der Allergrößte
Chuck Berry ist tot

Exzerpt des Artikels
„Der Allergrößte“
von JENS-CHRISTIAN RABE
Süddeutsche Zeitung, 20. März 2017


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Dass "Johnny B. Goode" neben Bach, Mozart, Strawinski und aserbaidschanischen Sackpfeifen als einziger Popsong auf den Datenplatten ist, die 1977 an Bord der Raumsonde Voyager I und II ins Weltall geschossen wurden, damit die Außerirdischen, die dereinst die Botschaft entschlüsseln, wissen, womit sie es bei uns zu tun haben, das ist schon ziemlich dämlich: Nicht so richtig lesen und schreiben können, aber wissen, wie man wie der Teufel  Gitarre spielt, darauf kommt es an. Eine pointierte, flinke kleine gereimte Geschichte.

Das war das Talent Chuck Berrys: Er konnte das Profane, das Alltägliche literarisch elegant verdichten und dann als Song unwiderstehlich machen. "Roll Over Beethoven", "Sweet Little Sixteen", "Memphis, Tennessee", "Carol". Deshalb ist es keine Übertreibung, wenn ihn Paul McCartney zu einem der größten amerikanischen Dichter macht, der ihn "wie der Blitz" traf.

Den Rock’n’Roll erfunden hat Berry nicht. Nicht einmal populär gemacht. Das hatte vor Berry der weiße Bill Haley mit "Rock Around The Clock" besorgt. Was Chuck Berry und sein Werk so bedeutsam macht, ist, dass er die bis dahin vor allem nebeneinander existierende weiße und schwarze Musiktradition so nachhaltig vermählte, dass sie nicht nur der Soundtrack der Jugend für eine ganze Generation von Teenagern in den Fünfzigerjahren wurde. Darüber hinaus war sie kraftvoll und originell genug, um zum Ausgangspunkt einer ganz neuen, in der gesamten westlichen Welt bis heute höchst einflussreichen Kultur zu werden.

An "Maybellene", Berrys erstem Hit, lässt sich das schon exemplarisch zeigen. Der Song, der bis auf den fünften Platz der us-amerikanischen Charts gelangte und bis Ende 1955 eine Millionen Mal verkauft wurde, hieß ursprünglich „Ida May“ und war eine Parodie des Country Songs „Ida Red“, den Berry seit 1938 kannte. Er nahm dessen Hillbilly-Groove, ließ Geigen und Kontrabass weg, spielte ihn schneller, stellte seine elektrische, ordentlich twängende(?) Gitarre in den Mittelpunkt und erzählte eine Auto-Konsumkultur-Geschichte eines Mannes, der in einem Ford seine untreue Freundin in einem Cadillac verfolgt. Warum kann Maybellene einfach nicht treu sein?

Das war nicht mehr Country, aber auch nicht die deprimierende, erwachsene Blues-Poetik. Das war die Ästhetik des Rock, die pompöse Feier des Banalen, Alltäglichen.

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Bei aller musiktheoretischen und vielleicht auch -historischen? Belesenheit des Herrn Rabe, er mag sonst noch 'was sein, ein gerechter Kritiker der Rockmusik wird er nicht mehr werden! Inzwischen kommen seine verächtlichen Abwertungen zwar nicht mehr im Klarformat, dafür aber mit dem Dolch im Gewande daher. Für mich bleibt es dabei. Er mag mit seinen Verrissen in der Sache noch so oft Recht haben. Ein ehrlicher Kritiker kann nur sein, wer den Gegenstand seiner Expertise mag! Herr Rabe sollte also bei Elektronischer Musik, Rap, Hip Hop und allem bleiben, was in seinen Augen "kluge" Musik, gemacht von "klugen" Menschen ist (so was wie "genialer Tourette-Makadam?!" oder so? Klaa!).

Ich genieße weiter Rockmusik, die Feier des Banalen und Alltäglichen. Herrn Rabes Einschätzungen muss ja nicht jeder genießen.

Karlheinz

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Übrigens, so geht es doch auch:


Der Homer*) des Rock'n'Roll: Chuck Berry ist tot

*) Homer (Homr), der griechische Dichter der Antike, nicht Homer (Houmer) Simpson aus der zynischen us-amerikanischen Zeichentrick-Nihilismus-Serie.

Er gab ab 1955 dem neuen Stil seine poetische Sprache, er definierte das "Teenage" als gelobtes Alter, er war der Meister des Gitarrenriffs: Chuck Berry ist 90-jährig in Jefferson City, Missouri, gestorben.

von THOMAS KRAMAR
Die Presse, Wien, 19. 3. 2017


"Hail, hail, Rock'n'Roll, deliver me from the days of old", sang Chuck Berry im März 1957 in "School Days". Er sang es cool, mit dem ihm eigenen Understatement, doch heute, fast auf den Tag genau 60 Jahre danach, kann man es nicht mit genug Emphase zitieren: Chuck Berry hat den Rock'n'Roll nicht erfunden, aber er hat ihm eine poetische Sprache gegeben. Ohne ihn wäre dieser wohl ein Modetanz mit ein bisserl aufsässiger Attitüde geblieben. Plakativ gesagt: Wenn Elvis Presley der Unterleib des neuen Stils war, dann war Chuck Berry sein Sprachzentrum. Auch deshalb war der Rock'n'Roll von Beginn an auf ganz organische Art antirassistisch: Weil er das Klischee vom geistig überlegenen Europäer und vom emotional und rhythmisch starken Afrikaner, das bis heute im Pop lebt – vor allem in der Polarität zwischen "weißem" Gitarrenpop und „schwarzem“ Dancefloor – mit sich selbst widerlegte.

"Roll Over Beethoven"

Es waren nicht viele, vielleicht zwei Dutzend Songs, mit denen Chuck Berry die lyrische Welt des Rock'n'Roll definierte und damit die ganze folgende Popmusik prägte. Da war der Anspruch, den er gleich 1956, mit seiner vierten Single stellte: "Roll over Beethoven, and tell Tschaikowsky the news." Ähnlich deutlich, aber genauso mit Augenzwinkern, beschied er in "Rock'n'Roll Music" dem Jazz, wer fürderhin den Ton angeben wird: "I've got no kick against modern jazz, unless they try to play it too darn fast; and change the beauty of the melody, until it sounds just like a symphony."

Selbst schon über 30, legte er auch gleich das Alter fest, das die populäre Musik in den nächsten Jahrzehnten prägen sollte: das Teenage: "Sweet little sixteen", sang er, "she's got the grown-up blues. Tight dresses and lipstick, she's sportin' high-heel shoes." Bitter könnte man sagen: Heute hat die gealterte Popkultur den Teenage Blues.

Doch damals war die Teenage-Welt eine neue Welt, und Chuck Berry beschrieb ihre Geografie, in allen Details. Im wunderbaren Hochzeitslied "You Never Can Tell" etwa, wo das junge Paar sich mit allem einrichtet, was das Herz begehrt: "They furnished off an apartment with a two room Roebuck sale, the coolerator was crammed with TV dinners and ginger ale." Und natürlich mit Musik: "They had a hi-fi phono, boy, did they let it blast, seven hundred little records, all rock, rhythm and jazz; but when the sun went down, the rapid tempo of the music fell, ,c'est la vie‘, say the old folks, ,it goes to show you never can tell‘."

Vorbild der Beatles und Rolling Stones

Man möchte Hunderte Zeilen zitieren, allein vor – nun mit Trauer überschatteter – Freude am Schaukeln und Rollen der Silben, aber man muss noch ein zweites großes Verdienst Chuck Berrys würdigen: Er war selbst der Meister des Gitarrenriffs, als den er einen der Helden in seinen Songs, den Johnny B. Goode, pries. Dieser spiele die Gitarre "just like ringin' the bell", heißt es darin. Bis heute kann sich jeder Gitarrist einer Band, die auch nur irgendwie mit Rock zu tun hat, Chuck Berrys Schüler nennen, von Keith Richards abwärts, dessen Rolling Stones gleich auf ihrem ersten Album mit "Carol" ein klassisches Chuck-Berry-Riff hatten. Auch die Beatles hatten natürlich etliche seiner Songs im Repertoire, sogar der melancholische George Harrison wirkte aufgekratzt, wenn er "Roll Over Beethoven" singen durfte.

Drei Jahre im Jugendgefängnis

Das war 1964. Zwei Jahrzehnte davor hätte niemand dem in St. Louis geborenen Charles Edward Anderson Berry zugetraut, dass er in die Musikgeschichte eingehen sollte. Da wurde er wegen bewaffneten Raubüberfalls verurteilt, saß drei Jahre im Jugendgefängnis. Nach seiner Entlassung arbeitete er in einem Montagewerk, dann ab 1951 als Pförtner beim Radiosender WEW. Dort kaufte er einem Musiker eine Gitarre ab. 1952 hatte er erste Auftritte in St. Louis, damals noch vor fast ausschließlich farbigem Publikum. 1955 holte er sich in Chicago ein Autogramm von Muddy Waters, dieser vermittelte ihn an Chess Records.

Dort nahm Chuck Berry seinen ersten Hit auf: Das Lied über die untreue Maybellene, die ihm davonfährt: "As I was motivatin' over the hill, I saw Mabellene in a Coup de Ville, a Cadillac a-rollin' on the open road, nothin' will outrun my V8 Ford, the Cadillac doin' about ninety-five, she's bumper to bumper, rollin' side by side . . ."

Diese liebevollen Automobil-Schilderungen beeinflussten einen weiteren Schüler, Brian Wilson von den Beach Boys. Deren "Surfin' USA" war hörbar an "Sweet Little Sixteen" orientiert, ab 1966 gab Wilson sogar Chuck Berry als alleinigen Komponisten an. Wohl übertrieben, aber es zeigt den Respekt, den Berry damals schon genoss. Dieser fügte seinem Kanon nach dem anzüglichen "My Ding-A-Ling" (1972) kaum mehr Neues hinzu. Live blieb er präsent, tourte unermüdlich, schaute darauf, dass er – selbst ein "Brown-eyed Handsome Man", wie einer seiner Songs hieß – immer fesch aussah.

Neues Album 2017?

Sein letztes Wien-Konzert, 2008 im Gasometer rezensierte die "Presse" unter dem Titel "Wer braucht denn gestimmte Gitarren?" und bescheinigte dem alten Meister "coole Schlamperei" und, dass er, 17 Jahre älter als Keith Richards, um 17 Jahre jünger aussehe als dieser. Ja, Berry wusste um seine Aura – und dass er es nicht notwendig hatte, mit einer eigenen Band zu proben. Schließlich, so sein Argument, kenne eh jeder anständige Rockmusiker seine Songs auswendig . . .

Recht hatte er. Zu seinem 90. Geburtstag, am 18. Oktober 2016, kündigte er an, er werde 2017 ein neues Album veröffentlichen und seiner Frau Thematta widmen, mit der er 68 Jahre verheiratet war. "My darlin', I'm growing old!", schrieb er ihr auf seiner Homepage: "I've worked on this record for a long time. Now I can hang up my shoes!"

Das Album wird wohl posthum erscheinen. Chuck Berry ist am Samstag in seinem Haus in Jefferson City, Missouri, gestorben. "Ring, ring, goes the bell", hieß es in "School Days": Jetzt hören wir Trauerglocken.

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