40 Jahre nach Woodstock
Pommesbude trifft PA

...Was war Woodstock "wirklich"?, außer: “3 Days of Peace & Music”, vom 15. bis 17. August 1969, auf einer Wiese des Milch Farmers Max Yasgur, ein paar Dutzend Kilometer nördlich von New York, USA - und: Ein Ereignis, das die Nachkommen als fortgesetzter Phantomschmerz plagt, das "Jucken eines Körperteils, der ihnen vor der Geburt amputiert wurde", wenn man der Diagnose des Pop Theoretikers Greil Marcus folgt?

Zunächst war es einfach eine Veranstaltung, die die Avantgarde der ästhetischen wie der technischen Produktivkräfte ihrer Zeit zusammenbrachte. Michael Lang, der Erfahrungen als Impresario kleinerer Open-air-Festivals mitbrachte, engagierte nicht nur die zugkräftigsten Acts seiner Zeit – von Janis Joplin über Creedence Clearwater Revival bis hin zu den damals noch als Geheimtipp gehandelten Santana -, er sorgte auch, gemeinsam mit Bill Hanley dafür, dass Bühnentechnik und Beleuchtung auf dem allerneuesten Stand waren. In Woodstock wurden erstmals weit tragende duale Beschallungssysteme eingesetzt, die sogenannten Woodstock Bins, die Drehbühne (auch wenn sie am Ende nicht funktionierte) war eine Weltneuheit, und die Lightshow, entworfen von einem szeneweit bekannten Tüftleroriginal namens Chip Monck, setzte auf Jahre hinaus Maßstäbe.

Woodstock, die Leistungsschau: In Michael Wadleighs selbst legendär gewordenem Konzertfilm ist dem Aufbau die gesamte Eingangssequenz gewidmet. Neben der Bereitstellung von Infrastruktur und Know-how zelebrierten die Bilder die Errichtung einer Stadt, die ungeduldig auf den Einzug des Volkes wartet: Hunderttausende blockierten bereits die Zufahrtsstraßen. Als das Festival mit seinen friedlichen, von Haschischwolken umnebelten Massen bereits am zweiten Tag auf nahezu allen amerikanischen Sendern lief, war der Effekt so überwältigend, dass jegliche Kritik für einen Moment verstummte.

Die Helden von Woodstock findet man nicht allein unter den Stars, mindestens ebenso wichtig sind die Nebendarsteller, Leute wie Arti Kornfeld, Michal Lang, []», []», []», Wavy Gravy, []», Chip Monck oder der technische Direktor John Morris, deren Ansprachen ans Publikum zu geflügelten Worten wurden.

„It’s a free concert from now on!“ – zur Gunst der Stunde gehört, dass selbst das kommerzielle Scheitern aufgrund niedergetrampelter Zäune dem Unternehmen als ideelles Surplus zuwuchs: Kein Kommerz auf der grünen Wiese!

Multimedia-Woodstock war der magische Spiegel, in dem die sechziger Jahre zu sich selbst fanden. Eine ganze Generation sah hinein und erkannte: Ein Volk in Glück und Scheiße. Der Schlamm! Was wäre Woodstock ohne den Schlamm gewesen? Ein übertrieben langes Rockkonzert vielleicht, aber niemals das kathartische Spektakel, diese Herausforderung der Elemente. „No rain! No rain!“, schleudert die Menge dem Himmel entgegen. Der sich böse verfinstert. Und schon öffnen sich die Schleusen.

Woodstock, ein Zusammenbruch, das schöne Fiasko, der kollektiv und lustvoll erlebte Bankrott eherner Werte. Die Schlammschlacht nach dem großen Regen zeigte die Woodstock-Nation in voller Aktion: Junge Männer, die sich vergnügt in einer Pampe suhlten, die alarmierend an Kot erinnerte, junge Frauen, nackt, wie Gott sie schuf, auf dem Weg zum Bade im nahe gelegenen Teich. Es sind antipuritanische und doch bukolische Szenen (ländlich, aus einem Hirtenleben), und das Erstaunlichste: Nichts passiert. Die Welt geht nicht unter, kein Schicksal schlägt rächend zurück. Gott hat seine Blitze geschleudert, seine Kinder aber verwandelten das ihnen gegebene Fleckchen Erde in ein dreckiges kleines Paradies.

Woodstock war der Riss im Körperpanzer, durch den neue Gefühle und Gedanken strömten. Der Flirt mit dem nationalen Notstand gehört zu Woodstock wie der Konsum halluzinogener Drogen – und tatsächlich hatte Senator Rockefeller das Gebiet ja kurzfristig zur disaster area erklärt. Die Metaphorik von Krieg und Katastrophe ist jedoch nur der Hintergrund, vor dem das Gemeinschaftsgefühl der Menge in einem nahezu biblischen Licht erstrahlt.

Dass die halbe Million trotz erschwerter Versorgungslage nicht Hunger litt, erinnert an das Wunder der Brotvermehrung. Die Badeszenen haben etwas von Massentaufen. Und wie der einfache Farmer Max Yasgur, am dritten Tag zur Menge sprach, konnte das nicht als Reprise der Bergpredigt durchgehen? Woodstock war auch deshalb so ein durchschlagender, nachhaltiger, alle Menschen guten Willens vereinender Erfolg, weil im Innersten der vielen Geschichten und Zeugnisse die Nähe zu christlichen Legenden stets spürbar ist.

Woodstock hat zwar kein Paradies auf Erden geschaffen, aber der weltweiten Alltags- und Festivalfolklore entscheidende Impulse gegeben [. Manchmal haben es Utopien an sich, dass man sie nach ihrer Realisierung nicht mehr wiedererkennt – gewirkt haben sie trotzdem [. Wo immer eine Pommesbude auf eine Verstärkeranlage trifft, ist der Phantomschmerz der Sechziger, ist Woodstock mitten unter uns.

Exzerpt von Karlheinz


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Die größte Party der Welt
Ein kathartisches Spektakel aus Glück und Schlamm:
Auch 40 Jahre danach ist der Geist von Woodstock
immer noch unter uns
von Thomas Gross
DIE ZEIT Nr. 32, 2009-07-30


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