Ladies and Gentlemen of the Woodstock Nation 

von Willi Winkler

... Woodstock ist eine Lebensform und die Erlaubnis, sich wie beim Kindergeburtstag in allen Farben des Regenbogens zu (ver)kleiden, sich zu schminken und sich, wenn’s ganz toll ist, auch im Dreck zu suhlen... Woodstock war nicht der Abschluss der sechziger Jahre..., sondern der Beginn der totalen Vermarktung der Popmusik... Woodstock war ein Zufall, ein glücklicher dazu, und zu diesem Glück gehörte, dass in dem ganzen Durcheinander, den organisatorischen und sanitären Schwierigkeiten, Musik gespielt wurde, Musik für ein ganzes Leben...  

Der Regisseur Michael Wadleigh, der den Film zum Festival drehte (den ihm der noch völlig unbekannte Martin Scorsese zur Oscar-Reife schnitt) hat vielleicht doch den treffenden Vergleich für das Festival gefunden: Es war nicht nur das Gegenteil von, sondern auch das Gegenstück zu Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“. Die Nazis und Hitlers Lieblingsregisseurin feierten die schiere Masse, die Überwältigung durch die straff organisierte Menge, also den Rausch an der eigenen Macht. So dumm konnte nicht einmal Leni Riefenstahl sein, als dass sie nicht gesehen hätte, was in Nürnberg passierte: Der Masse war jede Individualität ausgetrieben, sie war, in der Formulierung Kracauers, als Ornament aufgezogen, angetreten zum Opfergang für den unersättlichen Führer, sein künftiges Schlachtvieh.

Wie harmlos dagegen die Massen in Bethel, ganz weit oben im Bundesstaat New York. Nicht Kanonen-, sondern bloß Schwenkfutter für die gierigen Kameras: Freischwingende Schwänze, unbearbeitete Brüste, ein sorgloses Spielen im Schlamm, das Ravi Shankar an die Wasserbüffel in seiner indischen Heimat erinnerte. Wer sich nicht vorstellen kann, welche Freiheit Woodstock wenigstens vorübergehend brachte, soll mal versuchen, seine noch nicht schulpflichtigen Kinder nackt an einem (US)amerikanischen Hotelpool herumlaufen zu lassen. 

Ja, es war ein gigantischer Kindergarten, aber vor allem war Woodstock das Gegenteil der Volksgemeinschaft, das Gegenteil auch der „formierten Gesellschaft“, in der versprengte Carl-Schmitt-Schüler noch in jenen mirakulösen Sechzigern das Heil sahen. Und deshalb wanderte Abbie Hoffman [ [aus den USA aus und ließ sich in die „Woodstock Nation“ einbürgern. Es gab sie bloß nie. Hoffmann hatte sie zum Geisteszustand erklärt und Woodstock zum Land seiner Wahl. Die „Woodstock Nation“ gab es auch nicht während der drei wundermilden Tage, die im August vor vierzig Jahren unter der Herrschaft des gütigen Reaktionärs Richard Nixon stattfanden. 

Aber dort entstand ein Lied, ein trauriges Lied, yes Sir, ein besonderes Lied. Nein, es ist nicht „Star Spangled Banner“, Jimi Hendrix’ zerhackte Version der Nationalhymne, es ist auch nicht der Country Joe McDomalds Vietnam-Rag, sonder die „Suite: Judy Blue Eyes“+ "Live 2012", [lyrics & chords]» [ [, mit der – angeblich die Hosen voll im Premierenfieber – die Band Crosby, Stills, Nash (& Young) debütierte. (Genau genommen war es schon der zweite Auftritt.) 

„Remember what we’ve said and done and felt about each other / Oh babe, have mercy / Don’t let the past remind us of what we are not now” 

Dieser Song schläft in allen Dingen, die da träumen fort und fort*. Ladies and gentlemen of the Woodstock Nation: Thank you so very much.

Exzerpt von Karlheinz

Danke Willi Winkler!


*Wünschelrute

  • "Schläft ein Lied in allen Dingen,
    Die da träumen fort und fort.
    Und die Welt hebt an zu singen,
    Triffst du nur das Zauberwort."
  • .
  • Joseph Freiherr von Eichendorff
    1835,
    [ 

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Endlich eine Heimat
Vor 40 Jahren fand das Woodstock Festival statt, das zum Synonym für ein Lebensgefühl wurde
Von Willi Winkler
Süddeutsche Zeitung,
Fr/Sa/So, 2009-08-14/16


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