Historische Titel Bilder, guter Stil auf Pappe

Seit dem Durchbruch der Vinylplatten vor 60 Jahren wurden die Alben Hüllen („sleeves“, „covers“) auch zu ästhetischen Objekten, aufklappbar, mit eingelegten Plakaten („posters“) und Heften („booklets“) mt Lied- („lyrics“) oder Begleit-Texten. Als Inkunabeln, Erst- oder Windel-Drucke der Rockmusik entwickelten sie sich zu Paraphernalien – wie das Eigentum der Braut als Teil der Mitgift, wie Kult Gegenstände (Uniformen, Fahnen, Aufkleber...) oder Grabbeigaben. 

Die ersten Plattenhüllen zierten neben den Titeltexten meist Foto Reproduktionen von deren Interpreten. Mitte der Sechziger erwachte das Interesse an einer Covergestaltung mit eigenem ästhetischen Anspruch. "Sleeves" sollten nicht nur zum Kauf verführen, sondern den musikalischen Inhalt andeuten, ergänzen oder neu kontextualisieren. 

Als 1967 "The Velvet Underground & Nico" der gleichnamigen Band erschien, prangte auf dem sogenannten "Bananenalbum" ein Fruchtdruck von Andy Warhol. Auch die Jeans mit echtem Reißverschluss auf dem Rolling-Stones-Album "Sticky Fingers" hatte Warhol erdacht. Als die Beatles 1968 ihr "White Album", veröffentlichten, entwarf der britische Pop-Art-Künstler Richard Hamilton das Cover denkbar minimalistisch: Es zeigt nur den Bandnamen in erhabener Blindprägung auf weißem Grund. 

Während die psychedelische Rockära mit irisierenden Op-Art-Effekten prunkte, die an Vasarely erinnerten, lieferten im Deutschland der achtziger Jahre auch Maler wie Markus Oehlen, Moritz Reichelt oder Martin Kippenberger Coverkunst, unter anderem für das Düsseldorfer Label "Ata tak", das die "Neue Deutschen Welle" mitbegründete. 

In den neunziger Jahren gestalteten auch H. R. Giger, David LaChapelle und Robert Mapplethorpe Vorlagen für Plattencover - wenn die Musiker ihre Entwürfe nicht gleich selbst besorgten: So haben Bob Dylan, John Lennon, Freddie Mercury selbst zum Pinsel gegriffen. 

Das Genre "Sleeveart" brachte sogar seine eigenen Heroen hervor, wie den Hamburger Maler Mati Klarwein, der für Santana und Miles Davis ("Bitches Brew") psychedelische Collagen entwarf; oder den Briten Roger Dean, der die Yes-Alben in utopisch-blasige Landschaftsvisionen tauchte.

Die britische Kunst- und Designergruppe "Hipgnosis" schuf von 1968 bis 1983 Cover für Pink Floyd, Led Zeppelin, The Alan Parsons Project und Genesis, die Fotografie, Collage und Malerei zu surrealen Bildeinfällen verbanden. Mitglied war auch Storm Thorgerson, der mit der Illustration zu Pink Floyds "Dark Side Of The Moon" eine ikonisches, also eine Art Heiligen Bild der Rockkultur schuf: Ein Prisma auf schwarzem Grund, durch das ein Lichtstrahl in die Spektralfarben zerlegt wird. Name und Titel des Albums werden dagegen nicht genannt.

Plattenhüllen des Brüsseler Musik Verlags („Label“) "Disques du Crépuscule" ("Scheiben der Dämmerung") ließen sich aufklappen wie Coffeetable-Books, großformatige, aufwendige Bildbände. Plakate erhielten genauso eine Serien Nummer wie Alben. 

Alle Vinyl Platten Hüllen Macher hatten eine gemeinsame Geisteshaltung, der es vor allem darum ging, Auge und Ohr in gutem Stil zusammen zu führen. 

Für Oliver Tepel, den Kurator der Ausstellung "Après Crépuscule" im Frühjahr 2009 im Kölner Kunstverein, sind die Umschläge der Pop Ära hochcodierte, auratische Objekte, also Gegenstände mit einer Aura, mit der Erfahrung singulär und subjektiv erlebter Präsenz und mit intertextuellem Einfluss: Je nach "Sleeveart" hört man andere Musik. Er fürchtet, dieser ästhetische Zusammenhang könne mit dem Abdriften der Musik ins Digitale verloren gehen. Die virtuellen Klänge werden entkörperlicht, ihnen fehlen Informationen, wie man sie etwa einem Booklet entnehmen kann. 

Der Musikliebhaber in der voll digitalisierten Zukunft wird halt stilvolles Trauern ohne Grabbeilagen, vielleicht sogar ohne Grab und ohne Leiche lernen müssen (?!-K).

Exzerpt von Karlheinz


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Heiße Scheiben
Plattenhüllen als Sammlerobjekte? So außerirdisch ist der Gedanke nicht. Viele Künstler gestalten LP-Cover – die Objekte erzielen vierstellige Preise
Von Lino Wirag
Süddeutsche Zeitung, 2009-07-18/19


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