Hass auf Intellektuelle im Internet 

...Höhnische Nutzerbeiträge gegen angeblich Sperriges, kühne Gedanken, gegen Bildung überhaupt... Netzleser mit verschlüsselten Namen beklagen regelmäßig „akademisch anmutende Wortakrobatik“ und Abgehobenheit von Artikeln... Ein Autor, der ein bestimmtes Niveau nicht unterschreitet, hat schlechterdings seinen Job nicht gut gemacht, sich einfach nicht durchringen können, sein Schaffen als Dienstleistung für Durchschnittskonsumenten zu begreifen...

Die Papierzeitung, die es noch gibt... wird ernst genommen gerade aufgrund jener Beiträge, die nicht von jedem widerstandslos verdaubar sind... (Jedoch) nicht den Hauch der Berechtigung hat die Hoffnung, (im Netz) noch auf Leser zu stoßen, die – vielleicht gar leicht verschämt – Unverstandenes als Antrieb begreifen, ihre Bildungs- und Konzentrationsdefizite zu beheben...

Der Reiz des Netzes besteht in der notorischen Aufhebung der geschlossenen Form vom Internetauftritt eines Anbieters... zugunsten einer möglichst populär verschlagworteten, maximierten Auffindbarkeit durch Suchmaschinen... "Attraktiv" ist ein einzelner Beitrag im Internet, wenn er möglichst viele Leser(?Anklicker!) findet (und vica versa)...

Die meisten von Zeitungs- und Magazinverlagen geführten Internetangebote neigen mittlerweile dazu, in bislang ungeahntem Ausmaß leicht Bekömmliches dem argumentationslastigen Stück, die Nachricht der Analyse vorzuziehen... Kritisches im alten Wortsinne zu finden: Artikel, die sich der Kunst filigraner Beurteilung und Unterscheidung, der gewagten Infragestellung von Sachverhalten widmen, wird immer schwieriger...

...Das Diktat der Mehrheit ... wird geltend gemacht... (und) auf vormals von der Marktlogik geschützte Bereiche wie Wissenschaft, Kunst und Bildung ausgedehnt... Vom prinzipiell egalitaristisch strukturierten Netz geht eine normierende Gewalt aus... „Zehn Deutsche“ sagte Heiner Müller, „sind dümmer als fünf Deutsche.“...

... (Der) störrische, nicht restlos absorbierbare Intellektuelle, der sich einst seines Einzelgängertums rühmen durfte und als freier Autor oder Journalist sein Auskommen fand, insofern die Universität nicht für ihn sorgte... ist schutzlos... in einer bunten Welt von Teilöffentlichkeiten... Wo ausschließlich die Anzahl seiner „(Klick)Anhänger“ über seine Relevanz entscheidet... (kann er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten).

(Der Intellektuelle ist weder) bildungshuberischer Besitzstandwahrer... (noch) Sprachrohr einer bestimmten politischen Strömung... „Der Intellektuelle ist ein Störenfried, scheinbar ein Zerstörer der Dinge. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der Intellektuelle kann nicht, auch wenn er es wollte, im Hinblick auf die Dinge Egoist sein. Er macht aus ihnen ein Problem. Das ist das höchste Kennzeichen der Liebe.“ (José Ortega y Gasset: Der Intellektuelle und der Andere, 1940). Der Intellektuelle wundert sich, wo sich niemand wundert... Sein Blick auf das „Entlegene, der Haß gegen Banalität... ist die letzte Chance für den Gedanken“ (Adorno)...

Verschulte Studiengänge... Aushöhlung des Urheberrechts... die Laienkultur, sich ihrer Unbedarftheit rühmender Blogger... bekämpfen den Intellektuellen... Es eint der Neid die Amateure. Was zu kompliziert scheint, wird verhöhnt... „Interaktion“, „Partizipation“ oder „E-Community“, versprechen jene Selektionsmechanismen aus der Welt zu schaffen, auf deren Anerkennung jeder Aufklärungsdiskurs beruht...

Kooperation und Austausch sind die heiter propagierten Fetische, im Netz wie in Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen, die Muße bekämpfen und intellektuelles Einzelgängertum, da sie für die Volksgemeinschaft nicht verwertbar scheinen...

Der Nichtintellektuelle ist der beständige, zahlenmäßig immerzu überlegene Feind (des Intellektuellen),... der dabei bisweilen durchaus in der Verkleidung des Intellektuellen auf(tritt) – etwa als digitaler Bohemien, der sein virtuelles Sozialleben verwaltet und ordnet wie die fleißige Hausfrau Staubtücher und Putzgerät... er durchlebt nur den faulen Zauber seiner immerzu toten Gegenwart: „Sein Leben wird immer daraus bestehen,... die Dinge zu handhaben, zu gebrauchen, sie so gut wie irgend möglich zu seinem (vermeintlichen) "Vorteil" zu nutzen.“

So untüchtig er scheint – er wird nicht aussterben. Der Intellektuelle wird untertauchen..., er wird Internetrandzonen bewohnen, Foren, die nur von seinesgleichen aufgesucht werden (Kennzeichen: Guinnessbuch-un-verdächtige Besucherzahlen!)... Jedoch als der, der er bislang war, Störenfried des Konsenses, Vermittler von Wissensbeständen, Korrektiv des Staats, wird er verschwinden.

(???So pessimistisch wäre ich nicht gerne! K)
Exzerpt von Karlheinz


Wer den vollständigen Artikel lesen möchte, gehe zu: 

Das Netz als Feind
Warum der Intellektuelle im Internet mit Hass verfolgt wird
Von Adam Soboczynski, DIE ZET, 2009-05-20.


Zu einer Replik von Gero von Randow, in DIE ZEIT, 2009-05-28 [


nach oben

zu Gedanken
.