Der Gutmensch
ein Adelsprädikat 2.0
Keine Neocon-, eine Bösemensch-Schöpfung

von Christian Nürnberger

Exzerpt

... Die Souveränität, mit der sich der „Ranzengardist“ Thilo Sarrazin im Mainzer Kurfürstlichen Schloss das Kostüm des »Beelzebubs aus Berlin« übergestreift hat, zeigt, wie genüsslich sich eine Kamarilla aus Rechten, Neoliberalen und Neocons mittlerweile im Kleid des Bösen als das eigentlich Gute geriert, wie wohl sie sich in der Rolle der vermeintlich verfolgten Minderheit fühlt, und mit welcher Lust sie in diesem Gewand auf die Guten eindrischt, um sie als die eigentlich Bösen und Dummen zu entlarven.

Sie empfindet sich als Teil von jener Kraft, die Böses will und Gutes schafft, und zitiert inflationär ihren alten Meister Adam Smith, der 1776 dekretiert hat: Nicht vom Wohlwollen des Fleischers oder Bäckers »erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse«.

Liebevoll pflegt die Kamarilla daher ihre Feindschaft zu jenen, von denen sie zu wissen meinen, dass sie Gutes wollen und Böses schaffen... all jene Biedermänner und Biederfrauen, die das Denken durch die Moral ersetzen, nichts können, aber eine edle Gesinnung haben, nichts wissen, aber allerhand glauben und meinen... und die nächste Hölle vorbereiten... 

Neocons, in neuerer Zeit und im deutschsprachigen Raum vor allem aus der „Generation Golf“ (Florian Illies), wie Jan Fleischhauer („Unter Linken“), Roger Köppel, Chefredakteur seiner Schweizer Zeitschrift Weltwoche (..."»Linke Journalisten« sind eine Plage, die schlimmer ist als Hitler und Brustkrebs zusammen"), Wolfram Weimer, neuer Chefredakteur des Focus (lässt gegen »die Vertreter eines linksliberalen, sozialstaatfixierten Wischiwaschi-Mainstreams« hetzen)... sitzen nun seit mindestens einem Jahrzehnt an zahlreichen Hebeln der Macht, und das Größte, was ihnen bisher gelungen ist, war das Halten der Steigbügel für die gegenwärtige »Wunschkoalition«, einer Regierung, die heute niemand gewählt haben will.

Die NS-Vergangenheit indes verfolgt uns immer noch, wie das Buch über Das Amt lehrt,... eine Antwort auf die Frage nach den Grenzen des Wachstums haben sie bis heute nicht gefunden. Ihre Vorschläge zur Lösung des Energieproblems erschöpfen sich in der Verlängerung der Laufzeiten für alte Atomkraftwerke. Zum Pflegenotstand fällt ihnen so wenig ein wie zu dem auch von ihnen verursachten Demografieproblem. Die Nachricht vom Bankrott des Glaubens an den Markt ist bei ihnen noch nicht angekommen. Die Ergebnisse der Klimaforscher bezeichnen sie als Lügen, ohne einen einzigen Beweis dafür zu haben. Die immer weiter sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich lässt diese Köppels und Weimers kalt. Der Hunger in der Welt animiert sie zu Attacken auf Bob Geldof, Bono und andere Gutmenschen, die durch ihre Hilfe und ihr Engagement angeblich alles nur noch schlimmer machen. Eine Alternative zu deren Engagement hat diese »Achse des Guten« nicht.

Um davon abzulenken, bedarf sie der Unterstützung durch ältere Jahrgänge und ehemalige Achtundsechziger, wie Matthias Matussek, Dirk Maxeiner und Michael Miersch. Unter der Leitung des Windmachers Henryk M. Broder und mit freundlicher Unterstützung der Talk-Schlachtrosse Arnulf Baring, Ralph Giordano und Hans-Olaf Henkel bauen sie hier gerade einen Ableger der amerikanischen Tea-Party-Bewegung auf. So, wie deren Mitglieder Pickel kriegen, wenn sie das Wort Krankenversicherung hören, so reagieren die deutschen Tea-Party-Isten mit Allergieschocks, wenn sie das Wort soziale Gerechtigkeit hören... 

In Frankreich ruft gerade der 93-jährige Stéphane Hessel dazu auf, sich zu empören über den Zustand der Welt. Darüber, dass die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter aufgeht, der Sozialstaat ausgehöhlt wird, Ausländer stigmatisiert und die Palästinenser von den Israelis kujoniert werden. Darüber, dass in der Mitte unserer Konsumgesellschaft ein schwarzes Loch des Nihilismus klafft, dass die Gier der Banker eine einzige Schande sei. Dass wir unseren Planeten zerstören.

Nach der Definition unserer deutschen Tea-Party-Isten handelt es sich also bei Hessel um einen typischen Gutmenschen. Er war Mitglied des französischen Widerstands, wurde von der Gestapo gefoltert und überlebte das KZ.

Schon damals hat es das Wort Gutmensch gegeben. Es wurde wohl von den Nazis gegen die Anhänger des Grafen Galen verwendet, die gegen die Tötung körperlich und geistig Behinderter gekämpft haben.

Man sollte also künftig die Bezeichnung Gutmensch als Ehrentitel und Adelsprädikat führen, denn eines ist gewiss: Wenn wir irgendwo auf der Suche nach Lösungen für das Überleben auf diesem Planeten fündig werden wollen, werden wir diese eher bei Klimaschützern, Vegetariern, Veganern, Biobauern, Friedensbewegten, Tierschützern, Grünen, Sozialdemokraten, Kirchen und Gewerkschaften finden als beim deutschen Ableger der Sarah-Palin-Fraktion.

Exzerpt von Karlheinz


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Christian Nürnberger
...Gutmensch... Eine Verteidigung
Süddeutsche Zeitung Magazin
Nummer 4, 28. Januar 2011


Christian Nürnberger [, 59, Träger der Silbernen Ehrennadel für 40 Jahre »Leiden an der SPD«, ist oft als Gutmensch beschimpft worden. Das Wort perlt an ihm ab, seit er weiß, dass es von den Nazis kommt, also eine Bösmenschen-Schöpfung ist. Auch Hitler benutzte die Vorsilbe »gut« abwertend, er wandte sie auf »Gutmütige« an, die angeblich den Feinden der Deutschen in die Hände spielten.

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