Wir brauchen seine Attacken auf die seelenlosen Scheußlichkeiten unserer Städte

Prinz Charles, der schärfste Architekturkritiker der Gegenwart 

...In Baufragen wird der sonst so milde Charles gern zum Polemik-Prinzen, nichts und niemand ist vor ihm sicher. Man könnte glatt zum Monarchisten werden...

Hierzulande fehlt einer wie er, einer, der sich nicht abfindet mit den ungezählten Scheußlichkeiten, die das Land überziehen. Der gegen die Beliebigkeit, die Kälte, die Geschichtsvergessenheit vieler neuer Bauwerke zu Felde zieht. Kein Politiker wagt sich... Kein Parteiprogramm fordert... fragt, ob das Geld auch gestalterisch nachhaltig angelegt ist, ob also das Gebaute den Menschen gefällt, ob sie gut und gern darin leben, scheint kaum zu interessieren... Das Thema muss auf die politische Agenda... 

Die Debatte um das gute Bauen ist im Kern immer eine Debatte darüber, wie wir leben wollen, als Einzelne und als Gemeinschaft. Wer also an unseren Städten verzweifelt, verzweifelt in Wahrheit an unserer Gesellschaft. Diese Gesellschaft kauft bei Allerweltsketten und Discountern – und leidet unter der Allerwelts- und Discounterarchitektur...

Weit mehr als die Architekten haben in den letzten Jahren die Spekulanten das Bild der Städte geprägt. Sie interessieren sich in der Regel nicht für Häuser, sondern für Objekte. Nicht für architektonische Qualität, sondern für Image. Für sie zählt allein die möglichst schnelle, möglichst hohe Rendite. Und so sieht diese Architektur der Gier denn auch aus: Charakterlos und austauschbar. Sie verdankt sich... dem Fondsdenken. 

Um diesem Denken zu entkommen, braucht es vor allem einen starken politischen Willen, und es braucht Voraussicht. Bislang verkaufen Staat, Städte und Kommunen ihre Grundstücke, um den Haushalt zu sanieren, an die Höchstbietenden, also an Spekulanten. Das ist falsch, sie müssten langfristig denken und alle Grundstücke erwerben, die frei werden, wenn z.B. Bahn, Post oder Bundeswehr sie aufgeben und sie dann mit dem Interesse verkaufen: Die Stadt so lebendig und vielfältig wie möglich zu gestalten, jene begünstigen, die möglichst individuelle, erschwingliche, familienfreundliche Wohnungen bauen wollen. Jene, die Häuser für kleine Büros und Gewerbe errichten. Das erfolgreiche Modell der Gründerzeitquartiere subventionieren, in denen sich Wohnen und Arbeiten und Einkaufen bunt vereinen... 

Ebenso braucht es eine neue Bereitschaft zum ästhetischen Streit, um der Architektur wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Es braucht den Streit, wie ihn Prinz Charles gern vom Bauzaun bricht...

Im Grunde müsste die Architektur eine Empfindungswissenschaft sein. Müsste erforschen, wie wir reagieren: Auf Holz und Metall, auf niedrige und hohe Räume, auf Gerüche, auf Hall... Gut ist Architektur nicht bereits deshalb, weil Architekten sie gut finden. ...Adolf Loos: „Das Haus hat allen zu gefallen. Im Unterschied zum Kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat.“... Baukunstwerke... gestalterische Fantasie der Architekten... wichtiger wäre es, sie übten sich in der Kunst der Angemessenheit. Denn nichts anderes ist gute Architektur: Sie muss sich anlehnen an das, was war... und muss doch, um nicht epigonal und steril zu sein, einen eigenen Ausdruck finden. Es ist eine heikle Balance aus Konvention und Eigensinn...

Viele Bürger lassen sich nicht entmutigen und schlüpfen selbst in die Rolle des Prinzen und legen sich an mit dem Expertengeschmack. Für die Planer und Architekten natürlich eine Zumutung, ganz im Sinne Immanuel Kants, der fest daran glaubte, dass sich ein Streit über Geschmacksurteile auszahlt. Denn ohne diese Zumutung, ohne die Proteste der Dilettanten, dieser Liebhaber des Urbanen, wäre die Stadt keine Stadt. Sie wäre nur eine lockere Anhäufung beziehungsloser Teilöffentlichkeiten. Deshalb auf, Ihr Prinzen! Mischt Euch ein! Politisiert die Architektur – und befeuert die ästhetische Debatte!

Exzerpt von Karlheinz


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Baut auf den Prinzen!
Der Prince of Wales wird als Architekturkritiker gefürchtet – und belächelt. Doch in Deutschland brauchen wir genau solche Attacken auf die seelenlosen Scheußlichkeiten unserer Städte
Von Hanno Rauterberg, DIE ZEIT, 2009-05-14.


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