Neil Young

APPLE KANN MICH MAL

Früher schrieb er Protestsongs gegen Nixon und Bush, heute legt er sich mit Monsanto, Donald Trump und der Musikindustrie an. Ein Gespräch über die Kunst, sich treu zu bleiben.

Süddeutsche Zeitung Magazin,
SZM, Nummer 23 / 10. Juni 2016

Exzerpt des Interviews
von WOLFGANG LUEF


SZM Auf Ihrem neuen Album Earth, das am 17. Juni erscheinen wird, mischen Sie Live-Aufnahmen Ihrer aktuellen Tour mit Tierstimmen.
Sie sagen, alle Tiere würden in derselben Tonart kommunizieren.

Neil Young Alle in C-Dur. Ich bin richtig glücklich, dass ich dieses Naturgesetz entdeckt habe.
...
SZM 1971 haben Sie Graham Nash auf Ihre Ranch eingeladen, um ihm Ihre neue Platte, Harvest, vorzuspielen. Sie sind mit ihm in ein Ruderboot gestiegen und zur Mitte des Sees auf Ihrem Anwesen gefahren ...

Neil Young ... dann habe ich meine Anlage eingeschaltet. Auf der einen Seite des Sees war mein Haus, dort standen an einer Hauswand Boxen bis zum Dach. An der Scheune gegenüber ebenso. Auf dem Wasser war der Klang am besten. Die gigantische Anlage klang wunderbar.
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SZM Sie haben Ihre Hörer aufgefordert, sich auch Ihr neues Album unbedingt in einem Rutsch anzuhören.

Neil Young Ich wehre mich dagegen, dass das Konzept Musikalbum totgesagt wird. Was heute mit der Musik passiert, wird von Computerfirmen gesteuert. Die wollen, dass man sich das Musikstück als kleinstmögliche Einheit eines Künstlers anhört, dann wird ausgefadet, ein neues Musikstück beginnt, am besten noch im Shuffle-Modus (irgendein anderes Stück), damit der Hörer überhaupt keine Kontrolle mehr hat. Da mache ich nicht mit.
Das hat zwar schon im Radio begonnen, aber jetzt nimmt es überhand. Streamingdienste versprechen Dir: Du besitzt Millionen Titel, die gehören alle Dir. Aber wenn Du nicht mehr zahlst, sind sie weg. Und dann diese absurden Regeln: Apple verlangt, dass ein Song, den sie bei iTunes anbieten, nur eine bestimmte maximale Länge haben darf.
Ein Technologiekonzern will mir vorschreiben, wie meine Arbeit auszusehen hat?
Die können mich mal
.
Ein Song auf meinem neuen Album dauert 28 Minuten. Und es gibt keine Pausen zwischen den Songs – was Apple ebenfalls vorschreibt. Deshalb wird die Platte weder bei iTunes noch bei vergleichbaren  Diensten erscheinen.
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SZM Sie haben kürzlich Donald Trump verboten, einen Ihrer Hits zu verwenden, Rockin‘ In The Free World.

Neil Young Eigentlich habe ich es ihm nicht verboten. Ich habe nur öffentlich angemerkt, dass er mich nie gefragt hat. Und dazu gesagt, dass ich Bernie Sanders unterstütze. Das bringt schlechte Publicity, die ist noch stärker als ein Verbot – das ich gar nicht aussprechen könnte.

SZM Was halten Sie von Trump?

Neil Young (US)Amerika erntet gerade, was es über Jahrzehnte gesät hat. Alles, was es in dieser Gesellschaft an Dummheit gibt, manifestiert sich im Reality-TV, einer Welt, in der Donald Trump zu Hause ist. Nun wird es deutlich: Die Menschen unterscheiden nicht mehr zwischen Realität und Show. Somit ist Donald Trump das Endergebnis, die Personifizierung der (US)amerikanischen Medienlandschaft. Die Republikaner haben jetzt Angst, dass sie es versaut haben. Aber sie haben über Jahre genau das getan, was Trump jetzt macht: Du nimmst Dir die Themen, die den untersten Schichten am meisten Angst machen, Krieg, IS, Kriminalität, Einwanderung, negative Themen, und die bläst Du immer weiter auf, bis sie riesig groß werden und  irgendwann unkontrollierbar. Wenn Donald Trump Präsident der USA wird,  werde ich in diesem Land wohl nicht mehr leben.

SZM Täuscht der Eindruck, oder werden Sie mit dem Alter direkter, wütender und politscher?

Neil Young Es stimmt, dass ich sehr direkt bin, aber ich fühle mich nicht wütend. Eher in einer Art Verpflichtung. Ich sage, was ich für richtig halte, und wenn die Leute das nicht kapieren, sage ich es wieder und wieder.

SZM Und politischer? Ihr letztes Album hieß The Monsanto Years, benannt nach dem umstrittenen Saatgut-Hersteller(?-Hehler! Verkäufer gestohlener Güter). Das ist, als hätten Sie in den Sechzigerjahren ein Album nach Richard Nixon benannt.

Neil Young Ich halte das eher für ein religiöses als für ein politisches Statement. Ich stehe auf und sage: Monsanto, erzählt mir nicht, Samen wären Euer geistiges Eigentum, das ist Bullenscheiße. Samen kommen aus der Natur, Ihr könnt darauf kein Patent anmelden. Das hat erst mal nichts mit Politik zu tun, es ist mehr als das: Was die machen, ist auf eine spirituelle Weise falsch. Es ist unfair gegenüber der Erde und der Menschheit.
Eines Tages wird diese Auseinandersetzung gewalttätig werden.
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SZM Sind Sie Vegetarier?

Neil Young Schon seit einigen Jahren. Ich möchte nichts essen, was Augen hat. Manche sagen dann, auch keine Fische? Ich sage: Gerade keine Fische. Seit 1970 haben  wir die weltweiten Fischbestände um 90 Prozent reduziert, und jetzt fischen wir weiter, und die Leute essen einfach weiter. Soll das ein Witz sein? Die mickrigen zehn Prozent wollen wir jetzt auch noch aus dem Meer holen? Merken die Menschen wirklich nicht, dass die Fische in ein paar Jahren einfach weg sein werden? Die Menschen wollen das nicht hören, aber solange mir noch irgendjemand zuhört, sage ich: Denkt nach, Leute, wir sind alle zusammen auf dieser Welt. Wir können und werden es schaffen, diesen Trend umzukehren. Und jeden Tag kommen ein paar Leute dahinter. Ich bin gesünder als zuvor, als ich noch Fleisch aß. Ich schlafe besser. Ich trage nicht mehr das Gewicht der vielen Seelen herum, an deren Zerstörung ich beteiligt war. Und dann noch die Wasserknappheit! In Kalifornien ist Wasser so wertvoll, dass die Leute ihren Rasen nicht mehr bewässern dürfen – und dann stecken wir Tausende von Litern in ein Steak? Ernsthaft?

SZM Sie haben mit Willie Nelson das Benefiz-Musikfestival 'Farm Aid' gegründet – fallen Sie den Viehbauern nicht gerade in den Rücken?

Neil Young Ich sage den Leuten nicht, sie sollen kein Fleisch essen. Ich sage: Esst kein Fabrikfleisch, keine Tiere, die wir in ihrer eigenen Scheiße aufwachsen lassen, nebeneinander aufgereiht, ohne die Möglichkeit, sich zu bewegen. Und haltet die großen Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie raus. Sie haben kein Gewissen und werden nie für irgendwas zur Verantwortung gezogen. Sie sind 'too big to fail' und 'too rich for jail'.

SZM Haben Sie das Gefühl, Sie können mit Musik irgendetwas ändern?

Neil Young Ändern können nur Menschen etwas. Wenn Du nie darüber redest, bist Du wie jeder andere, der die Klappe hält. Wenn Du aber drüber redest, sagen die Leute erst mal: „Bist Du irre? Wieso redest Du überhaupt über dieses Zeug, das weiß doch jeder, das kann man nicht ändern...“ Wie oft ich das gehört habe!

SZM Sie sind einer der Letzten, der seine Musik konsequent in den Dienst seiner Anliegen stellt. Wieso gibt es so wenige Protestsongs in den Charts?

Neil Young Musik ist ein Geschäft, das von Konzernen kontrolliert wird. Die haben keinerlei Interesse daran, Musik zu fördern, die ein System kritisiert, von dem sie profitieren. Diese Art von Musik hat also keine Chance. Ich bin weder ein Verschwörungstheoretiker, noch bilde ich mir das alles ein. Das sind Tatsachen.

SZM Als Sie 1970 von den vier getöteten Studenten auf einer Demo in Ohio erfuhren, haben Sie binnen Tagen das Lied Ohio geschrieben und eingespielt. Es wurde sofort zum Hit. Sie glauben, so etwas wäre heute nicht mehr möglich?
...
Neil Young Bei einer Verbreitung eines Songs im Internet geschähe das in einer so unglaublich schlechten Soundqualität, dass man die Musik nicht mehr fühlen kann. Man muss ihn schon in seiner vollen Qualität hören, damit der Song eine Wirkung entfaltet. Ohio war eine 45-RPM-Single, Super-High-Res. Die Platte hat ganz genau so geklungen wie das, was wir im Studio aufgenommen hatten, und nicht wie ein mp3 oder Netzvideo.

SZM Sie glauben, mangelnde Soundqualität verhindert erfolgreiche Protestsongs?

Neil Young Man kann die Kraft des Klangs gar nicht überschätzen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Musik die menschlichen Gene verändern kann – aber nicht mit einem mp3-File. Eigentlich ging es schon ab 1982 abwärts, als die CD eingeführt wurde. Eine analoge Aufnahme ist immer eine Spiegelung dessen, was passiert ist. Eine digitale Aufnahme ist eine Rekonstruktion. Ein mp3-File rekonstruiert gerade einmal fünf Prozent des Sounds, eine CD zehn Prozent. Das hört jeder. Vielleicht nicht bewusst, aber man hört es. (Man hört es, nimmt es aber nicht wahr). Hier wird gerade eine ganze Kunstform ruiniert. Ich muss da nicht mehr mitspielen. Deswegen ziehe ich meine Musik aus allen Streaming- und Downloaddiensten zurück.

SZM Sie vertreiben stattdessen Ihren eigenen Musikplayer, den Pono, für den Sie in einem selbst entwickelten Format Musik in höchster Auflösung zur Verfügung stellen.

Neil Young Und wenn das am Ende der einzige Ort ist, wo man meine Musik kaufen kann, ist das auch okay. Wenn die Leute das dann kopieren, rippen, brennen, mp3-Versionen daraus machen – sollen sie ruhig, ich will dafür nicht mal Geld. Ich will nur Geld für das, woran ich glaube: High-Quality-Sound.

SZM Es gibt mittlerweile eine große Auswahl in Ihrem Musik-Store. Wie läuft es wirtschaftlich?

Neil Young Es könnte besser laufen, aber es könnte auch viel, viel schlechter sein. Es ist einfach ein verdammt langer Weg. Wir gewinnen immerhin Preise, bestklingender portabler Musikplayer, Innovationsprodukt des Jahres. Wir haben die beste Qualität, aber das ist nicht genug. Du brauchst Rendite.

SZM Sie sollen einmal mit Steve Jobs über den Pono gesprochen haben.

Neil Young Ja, ich habe ihm erklärt, was wir da tun, und er meinte, das sei eine gute Idee. Er hat mich gebeten, ihm ein paar meiner High-Res-Files zu schicken, um herauszufinden, wie sie auf dem iPod am besten klingen. Ich habe ihn gefragt, ob er dann auch die Abspieltechnik des iPods ändern wird, den Digital-Analog-Wandler, weil der halt einfach wie ein Stück Scheiße klingt. Und er meinte, das würde das Produkt teurer machen, oder? Ich sagte, klar, bessere Qualität kostet mehr. Er meinte, Neil, der iPod ist ein Massenprodukt.
Ich fand das interessant:
Offenbar bedeutet Massenprodukt, dass es der größte Dreck sein muss, den man kaufen kann, aber immerhin nett gestaltet und eingepackt.

SZM Sie kämpfen gegen Windmühlen.

Neil Young Ich weiß, aber wo unser Wind herkommt, gibt es noch mehr davon. Wir werden die beschissene Windmühle in Grund und Boden blasen. Und es gibt Zeichen, die in eine andere Richtung weisen: High-Res-Streaming ist auf dem Vormarsch, Vinyl verkauft sich wieder besser. Noch suchen wir Investoren. Wir brauchen Leute mit viel Geld, die sich Gedanken über ihr Erbe machen und der Welt etwas Positives hinterlassen wollen.
...
SZM Haben Sie eigentlich je die Spinnenart gesehen, die man nach Ihnen benannt hat?

Neil Young Gesehen habe ich die nie, aber ich habe davon gehört. Irgendein Wissenschaftler in North Carolina, nicht?

SZM Myrmekiaphila neilyoungi.

Neil Young Ich finde das super. Mich würde vor allem interessieren, ob es der Spinne gefällt. Aber wir können die Antwort nicht aufnehmen und aufs nächste Album packen. Spinnen sind ja stumm. Man kann sie also nur angucken und irgendwas spüren. Obwohl, sie macht beim Laufen Geräusche, oder? Das könnte man aufnehmen, so ein ganz leises Getrippel.

Ich behalte das mal im Hinterkopf.

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