Leserbrief zum Artikel:

Der Letzte

Jan Böhmermann ist jetzt ein Fall für den Staatsanwalt: ein Triumph der Satire

von HILMAR KLUTE
Süddeutsche Zeitung, 9./10. April 2016


- Exzerpt des Artikels

- Leserbrief

- Heribert Prantl


Im besseren Sinne?

Haben wir nicht erkennen wollen, dass es mitten unter uns Leute gibt, die seit Jahren die Humor-Intelligenz ihres Publikums durch kriminelle Unterforderung schrumpfen lassen? "Deutscher Humor", deutsche Satire funktioniert im gebührenfinanzierten Fernsehen: als Luftnummer. Kluge Komiker wie Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann zeigen dem erschrockenen Publikum: Was, die haben uns jahrelang weismachen wollen, es gebe in diesem Land gutes Kabarett?

Ausgerechnet Jan Böhmermann hat nun etwas zustande gebracht, von dem die Pleistozän-Brettlmännchen von "Satire-Gipfel" und "Anstalt" mit ihren läppischen Pointen nur träumen können: die Politik so weit zu bringen, dass sie wegen eines Satire-Beitrags in den diplomatischen Gang schalten muss. Nachdem sich der türkische Präsident bereits über ein Liedchen aufgeregt hatte, welches die famose Satire-Sendung "extra3" auf Erdogans Demokratieverständnis angestimmt hatte, sagte Böhmermann in seiner Sendung ein Gedicht auf, in welchem es dermaßen wimmelte von Flatulenzen, Geschlechtsteil- und Penetrationssynonymen, dass die Bundeskanzlerin höchstpersönlich zum Lüften kam und durch das offene Fenster ihr "Das ist bewusst verletzend" rief.

Einem ARD-Satire-Gipfelstürmer und einem ZDF-Anstaltsclown dürften bei diesem Merkel-Satz die Gesichtszüge entgleiten: Ach, das findet die Kanzlerin verletzend? Das und nicht unsere jahrelang mühsam in ungelüfteten Köpfen zurechtgezimmerte Mutti-, Maasmännchen und Gauckler-Wortakrobatik?

Angela Merkel hatte recht: Böhmermann wollte bewusst verletzen. Aber: Nicht Erdogan – Böhmermann ist doch nicht blöd, zu meinen, bei dem damit etwas zu ändern; Nicht die Türken – die Böhmermanns Klischeesammlung für bare, rassistische Münze nahmen; Nicht die Grenzen von Satire – die loten Anwälte aus; Böhmermann wollte den Humorkonsens der Deutschen verletzen: Das hier beklatscht ihr.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen seines Erdogan-"Gedichts" gegen ihn. Es geht um Beleidigung eines ausländischen Staats-Oberhaupts, was eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren nach sich ziehen kann. Damit erfüllt sich für Böhmermann der Traum jedes Satirikers, obwohl ihm das, was man gemeinhin als Satire versteht, herzlich egal ist. Das stubenfliegenhafte Ärgern von Politikern überlässt er traurigen alten Fernsehkabarettisten mit Hawaiihemd und Weißbierglas, deren Ansichten erstaunliche Deckungsgleichheit mit den Weltbetrachtungen besorgter Bürger aufweisen.

Leider sehr wenige kluge deutsche Komiker sind sich einig, die eigene Branche mal kräftig in die Luft zu treten(?).

Böhmermann hat gelernt, dass ein Komiker immer in einem Distanzverhältnis zu seiner Sprecherrolle stehen muss. Nicht auf einem moralischen Feldherrenhügel wie die sogenannten Politkabarettisten der ZDF-Satire-Sendung "Die Anstalt" nach Priol und Barwasser: "Ausgestrahlte" Trübnis, Pointen vom Gewicht eines Pantoffeltierchens, Wüstenei von Monolog-Satire – Ilja Richters Disco-Sketche sind dagegen Feuerwerke kabarettistischer Unterhaltungskunst. Keine Spur von Selbstironie, kein Hauch von Vermögen, die alten Denk- und Redemuster zu verlassen.

Das kann nur ein Böhmermann. Dessen Humor entspreche nicht den Standards, die der Sender an Satire anlege, ließ das ZDF verlautbaren. Das Trauerspiel "Die Anstalt", der flache "ARD-Satire-Gipfel", die biedere "heute-show" – sie bilden den trostlosen Standard satirischer Unterhaltungskultur im deutschen Fernsehen.

Da hat man doch schon gehofft, mit und seit Harald Schmidt wäre die komplette Dekonstruktion von Humor bereits tägliche Übung im deutschen Fernsehen geworden. Schamverletzung  und Grenzüberschreitung, akzeptierte und  geforderte Kulturleistungen. Empörung wird höhnisch verbal eingefangen, "domestiziert".

Dieser "Humor" ist eine Art "sadistische Volkserziehung". In der Nachfolge der ironischen Unterhaltungskunst von Kulenkampff und Carrell, trieb Schmidt ihn derart auf die Spitze, bis er seine Zuschauer schließlich aus der guten alten Bildungswelt ins digitale "Anything goes" verabschiedete. Dort werden sie von Böhmermann abgeholt, von dem sie alles, nur keinen Begriff von moralischer Wahrhaftigkeit bekommen. Vor zwei Jahren führte der die "ehrpusselige Mediencommunity" vor, als er behauptete, den gezeigten Mittelfinger eines griechischen Ministers gefälscht zu haben. Für diese "geniale Fälschungsfälschung" bekam er nun den Grimme-Preis.

Böhmermann sollten gleich alle Medien- und Fernsehpreise gegeben werden. Seine Meta-Satire wäre die beste Gelegenheit, "die alte Kabarett- und Comedy-Zombie-Kultur" zu verabschieden. Was Böhmermann tut, ist das Letze – im besseren(?) Sinn(?).

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Leserbrief
von Karlheinz Damerow

Kluge Komiker zeigen Kabarett-Zombies, wo’s langgeht - Adieu, gute alte Bildungswelt, gegrüßt seist Du oh digitales Anything goes

Na endlich pulverisiert doch mal einer den öden Humorkonsens der Deutschen mit seinen läppischen Pointen trauriger alter Männer eines Polit-Kabaretts auf gebührenfinanzierten moralischen Feldherrenhügeln.

Endlich sagen uns geniale junge Männer, wo es ohne die geringste moralische Wahrhaftigkeit langgeht. Ein "kluger" Komiker wird gar preiswürdig durch die "Hammer"-Leistung einer Fälschungs-Fälschung des Stinkefingers eines kongenialen "Hammer"-Ministers. Schließlich verwirklicht er sich auch noch den Traum jedes Satirikers, in Ausübung der "Hammer"-Kulturleistungen von Schamverletzungen und Grenzüberschreitungen vor Gericht gestellt zu werden, indem er die eigenen Polit-Oberen gemeinsam mit dem Präsidenten eines "Volkes von Ziegenhaltern" durch einen sophistischen Sandkasten-Trick in die Beleidigungs-Falle lockt.

Sollten wir nicht diesen "Neuen Deutschen Sadistischen Volkserziehern", diesen famosen jungen Männern in die tapfere neue "Anything-goes"-Welt folgen? Wir könnten die guten alten Zehn Gebote aus der guten alten Bildungswelt als erste Mutprobe auf den Müll werfen. Kennt doch kaum noch einer. Erst recht, wo doch eh anything goes?

Nein.

Es mag noch so wenig zeitgeistig opportun scheinen, aber eine Gesellschaft ohne ein humanes, soziales politisches Kabarett, dafür nur noch mit zynischen, aggressiven, in sich selbst verliebten, omnipotenten jungen Männern, die Pointen für Witze halten, wäre für mich Herz-, Bauch-, Seelen- und Gewissen-los. Und dann wäre es mir auch sch....egal, ob diese Genies öffentlich-rechtlich, über Gebühren, oder privat-philosophisch, über Warenpreise finanziert "ausstrahlen". Peter Lustig hatte Recht: "Abschalten!".

Karlheinz Damerow, Driedorf-Heisterberg

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Beleg des Abdrucks vom 14. April 2016

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Heribert Prantl

Erdogans Recht

Süddeutsche Zeitung, 13. April 2016


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Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit sind ebenso große wie barmherzige Grundrechte. Sie decken auch Unverschämtheiten; sie decken sogar rassistische Gemeinheiten, solange sie nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen.

Es gilt aber die Regel: Satire ist nicht schon deswegen gut, weil sie nicht strafbar ist.

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ERDOGAN UND MERKEL
Böhmermanns Zweikampf

Süddeutsche Zeitung, 16./17. April 2016


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Merkel kündigte nur an, dass die Justiz den Fall Böhmermann/Erdogan prüfen soll. Das klingt so, als würde die Kanzlerin Böhmermann quasi ans Messer liefern. Aber das ist Unsinn.
Die Übergabe der Causa an die Justiz ist kein Kotau vor Erdogan (wie dies auch die SPD meint), sondern der Gang der Dinge in einem Rechtsstaat. Der Fall kommt jetzt aus der Sphäre der Opportunität in die Sphäre der Legalität.
So ist es Recht. ... Die Justiz darf jetzt das machen, was ihre Aufgabe ist: Die "Tat"
, also die Satire, daraufhin prüfen, ob sie strafbar ist.

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Die Satire Böhmermanns war missglückt. Daraus folgt aber nicht, dass sie auch strafbar ist.

Gewiss: Wäre das Schmähgedicht bei einer Pegida-Demonstration vorgetragen worden, wäre es als Volksverhetzung strafbar.

Der Kontext hier war ein anderer. Böhmermann wollte Erdogan mit dem Holzhammer eine Nachhilfestunde in Sachen Meinungsfreiheit geben.

Darf man zu diesem Zweck Unverschämtheiten formulieren, die für sich genommen gröblich beleidigend sind? Das muss nun die Justiz klären.

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