Zum Wohlsein, und Amen, Herr Pfarrer!

"Das Kennzeichen unserer Epoche:
Nicht daß der gewöhnliche Mensch glaubt, er sei außerordentlich und nicht gewöhnlich, sondern daß er das Recht auf Gewöhnlichkeit und die Gewöhnlichkeit als Recht proklamiert und durchsetzt."

José Ortega y Gasset, 1930


2014/15 - Als Roger Ibounigg, Pfarrer von Pöllau und Pöllauberg in der österreichischen Diözese Graz-Seckau, die rhetorische Frage stellte: "Was hat eine Fußball-Hymne mit der Textzeile "Ein Hoch auf o-ons!" im Gottesdienst zu suchen?" *), da überschlug sich das Netz einmal mehr in seiner wesenseigenen Hybris. Erdreistet sich doch ein kleiner Seel-Sorger und Leiter "unmoderner Gottes-Dienste", der Einheits-Meinung im globalen Dorf zu widersprechen. Quasi Lästerung der "Milliarden von Fliegen, die sich nicht irren können", in der "Neuen-Klick-und-Gott-ist-tot-Zeit"!

Hier nur ein paar Absonderungen eines selbst ernannten "Atheisten-Blog"s:

- "... Knallcharge ... Rad ab ... religiös verblödeter Vollidiot ... Irrsinn ... Schwachsinn ... angepisster Parasit ... erbärmliche Katholenschlunze ... Zwergenaufstand eines beschissenen Heuchlers ... dieser Knilch und Saftarsch wäre bei mir den Heldentod gestorben ... ",

oder folgende, inbrünstig kompetente Text-"Kritiken":

- "HAMMA Lied ... mega cool ... geil ... krass ... genial ... hi Andreas bourani du bist ein jenie (vielleicht wird das lied in 6 jahren die Nationalhymne von Deutschland?)".

Was für ein umwerfender Mut zur peinlichen Selbstdarstellung geistiger Bedürftigkeit.
Was für eine naive Hymne selbstverliebt besoffenen Massen-Jubels über die peinliche Aneignung des Erfolgs einiger peinlich überbezahlter Fußballspieler.
Was für ein Einklang mit der peinlichen Kernaussage dieses bestvermarkteten Pop-Machwerks 2014:

"Trinken wir auf UNS (WIR Weltmeister?!) - Tut ja sonst (zu Recht!) KEINER!"

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Immerhin hielten es doch einige Wenige der Mühe wert, ihre, von der suggerierten Mehrheits(?)-Volx(?)-Netz-Meinung zur Gottes-Haus-Tauglichkeit dieses "Lied-Gutes" abweichenden Wahrnehmungen öffentlich zu äußern:

- "Hundert Jahre nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges klingen Teile des Textes wie Parolen, mit denen 1914 junge Leute zu Marschmusik in den Tod gingen - Hier geht jeder für jeden durchs Feuer - Wir haben Flügel, schwör'n uns ewige Treue - Ein Feuerwerk zieht durch die Welt - Vom ersten Schritt bis ins Grab",...

- "Abgegriffene Kalender-Spruch- Weisheiten: Im Regen steh’n, durchs Feuer geh’n, Freude und Tränen teilen, Herzen steuern. Andreas Bourani, das singende Reihenhaus, klingt wie der Wimmerschinken Xavier Naidoo und die Heulsuse Chris Martin nach einer Rhabarberschorle durch den gemeinsamen Strohhalm" *),...

- "...unerträgliche Selbstbeweihräucherung"...

Die letztere dieser Einschätzungen teile ich mit ihrem Autor, dem österreichischen Musikkritiker Samir H. Köck. Unfreiwillig wahrgenommene Bruchstücke dieses Pop-Elaborats lassen mich die Geräuschquelle schon nach Sekundenbruchteilen panisch meiden oder wechseln.

Was für ein ironischer, umso mehr glücklicher Kollateral-"Schaden", mich auf diese Weise einmal im Einklang mit einem Vertreter der Katholischen Kirche wiederzufinden. Eine derartig besinnungslose Selbst-Abfeierei passt, wenn's denn Promille bedingt sein muss, in ein Sauf-Haus, aber nicht ungestörten Geistes in ein Gottes-Haus.

Prosit, Roger Ibounigg!
Ich bin ganz Ihrer Meinung!

Karlheinz Damerow
Heisterberg, 23. Juni 2015


*) Siehe auch: Süddeutsche Zeitung, 18. Juni 2015;
oder: Kölner Stadt-Anzeiger, 11. Juni 2014

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Warum die Massen in alles eingreifen, und warum sie nur mit Gewalt eingreifen

José Ortega y Gasset

„ ... Nicht daß der Massenmensch dumm wäre. Im Gegenteil, der gegenwärtige ist gescheiter, hat größere intellektuelle Fähigkeiten als irgendeiner in der Vergangenheit. Aber diese Fähigkeiten helfen ihm nicht; im Grunde hilft ihm das undeutliche Bewußtsein ihres Besitzes nur dazu, daß er sich noch hermetischer in sich verschließt und sie erst recht nicht gebraucht.

Den Wust von Gemeinplätzen, Vorurteilen, Gedankenfetzen oder schlichtweg leeren Worten, den der Zufall in ihm aufgehäuft hat, spricht er ein für allemal heilig und probiert mit einer Unverfrorenheit, die sich nur durch ihre Naivität erklärt, diesem Unwesen überall Geltung zu verschaffen. Das ist es, was ich im ersten Kapitel als das Kennzeichen unserer Epoche hinstellte:

Nicht daß der gewöhnliche Mensch glaubt, er sei außerordentlich und nicht gewöhnlich, sondern daß er das Recht auf Gewöhnlichkeit und die Gewöhnlichkeit als Recht proklamiert und durchsetzt...

Das Volk hat sich noch niemals eingebildet, ›Ideen‹ über irgend etwas zu haben. Es hatte Glaubenslehre, Überlieferungen, Erfahrungen, Sprichwörter, Denkgewohnheiten; aber es dünkte sich nicht im Besitz theoretischer Einsichten in das Sein oder Soll-Sein der Dinge – in Politik etwa oder Literatur. Was der Politiker plante oder tat, erschien ihm gut oder schlecht; es stimmte für oder gegen; aber es beschränkte sich darauf, im einen oder anderen Sinn den Resonanzboden für die schöpferische Tat anderer abzugeben. Den ›Ideen‹ des Politikers seine eigenen gegenüberzustellen, ja sie auch nur vor das Tribunal anderer ›Ideen‹ zu ziehen, die es zu besitzen glaubte, wäre ihm niemals eingefallen.

Heute dagegen hat der Durchschnittsmensch die deutlichsten Vorstellungen von allem, was in der Welt geschieht und zu geschehen hat. Dadurch ist ihm der Gebrauch des Gehörs abhanden gekommen. Wozu hören, wenn er schon alles, was not tut, selber weiß? Es ist nicht mehr an der Zeit zu lauschen, sondern zu urteilen, zu befinden, zu entscheiden. Im öffentlichen Leben gibt es keine Frage, in die er sich, taub und blind wie er ist, nicht einmischte, seine Ansichten durchsetzend“. ...

Siehe auch: -1-, -2-, -3-, -4-

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Aristoteles:
"
Aas muss gut sein, 100 Milliarden Fliegen können sich nicht irren“.

Ein Klospruch aus den sechziger Jahren:
"Milliarden Fliegen können sich nicht irren, esst mehr Scheiße".

Friedrich Schiller (Demetrius; ein Drama-Fragment)
Fürst Sapieha:
„Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.“

Zitiert aus:

Gudrun Fey,
"Überzeugen ohne Sachargumente:
So gewinnen Sie andere für Ihre Meinung"...

...ich liebe solche "Ratgeber"! Rhetorik-Tricks zum Bescheißen, Betrügen, Übers-Ohr-Hauen argloser, gutgläubiger Opfer. Die einzige Rechtfertigung: Als Waffe gegen gleichartig agierende Schweine (pardon, liebe Schweine!).

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